Eine post-romantische Theaterverschwörung
Eigentlich sollte das so ein richtig schöner Romantik-Abend werden. Der Musiker und Soundkünstler Arnold ist auch schon da. Aber für die Herzogin und den Baron kommt die Psychopolitik des Neoliberalismus dazwischen. Ihre Gespräche wandeln dann auch auf seltsamen Pfaden zwischen damals und heute. Bin ich ein romantisches Ich oder ein postmodernes Projekt?
Und schon wissen sie nicht mehr so genau, in welcher Realität sie sich befinden. Immerhin behaupten sie immer wieder, in einem Salon zu sein.
In der Filmdramaturgie heißt der Punkt, wo für das Heldenteam nichts mehr geht: „Die Nacht der Seele“. Das scheint wohl auch auf den aktuellen Weltzustand zuzutreffen. Die Herzogin, der Baron und der Musiker geben sich aber nicht geschlagen. Denn sie haben doch extra was für das Publikum vorbereitet, z.B. eine Handnebelmaschine, ein präpariertes Klavier, Gesang, Klangwelten und natürlich Schauspiel! Und da wären dann noch die dramatischen Texte, die durch Byung Chul Han oder Slavoj Žižek inspiriert wurden oder auch gleich direkt aus der Zeit der Romantik stammen, z.B. von Novalis und Hölderlin. Kurz: Sie werfen alles, was sie haben in den Nachthimmel und bringen es zum Leuchten. Und das ist doch romantisch!
Andreas Montag (Mitteldeutsche Zeitung) sieht in dem Stück „eine köstliche Mischung aus Ironie, Komik und ernsthaftem Diskurs. ... Alexander Ernst baut Sounds dazu, die bis in neue Klangwelten reichen. ... Alle drei agieren auf der Bühne bei allem, auch in ihren Ausflügen in groteske Fluchtorte der Dekadenz, mit souverän gewahrtem Abstand. Ein heiteres Denkvergnügen…“.
Schauspiel, Musik, Sound, Gesang: Astrid Kohlhoff und Lutz Wessel
Musikalische Leitung, Klavier, Sound, Gesang: Alexander Ernst
Regie, Bühne, Konzept: Silvio Beck
Kostüme: Katharina Schirmer
Eine Produktion von Theater AGGREGATE im WUK THEATER QUARTIER Halle / gefördert vom Land Sachsen-Anhalt, Lotto Sachsen-Anhalt und der Stadt Halle
Aktuelle Termine
WUK Theater Quartier Halle: Fr. 25.04. und Sa. 26.04.2025, jeweils 20.30 Uhr, sowie So. 27.04.2025, 18 Uhr
Karten unter: https://www.wuk-theater.de/
Vergangene Termine
Theater unterm Dach Berlin: 15.03. und 16.03.2025 / jeweils 20 Uhr
Premiere: 18. Dezember 2024, 20.30 UHR / weitere Termine: 19., 20., 21. Dez. 2024, je 20.30 Uhr und 22. Dez. 2024, 18 Uhr / Theater unterm Dach Berlin: 24.01.2025 / 25.01.2025 / 26.01.2025 / je 20:00 Uhr
Zur Psychopolitik des Neoliberalismus
Silvio Beck
Die Epoche der Romantik entdeckte das schöpferische Ich. Mensch sein heißt fortan Künstler sein. Das gilt für Frauen wie für Männer. Dieser emanzipatorische Gedanke erweiterte die Idee Kants, wonach Aufklärung selbstständig denken hieße, um das Hervorbringen dessen, was in der Romantik Universalpoesie genannt wurde. Zweihundert Jahre später sehen wir uns mit einem ähnlich klingenden aber neoliberalen Imperativ konfrontiert: Sei kreativ! Oder, wie es der Schauspieler Martin Wuttke formuliert: „Aber wenn man über Kapitalismus reden will, muss man den Hauptbefehl kontern, und der heißt nicht: Sei gierig! Sondern der heißt: Sei kreativ!“ (Berliner Zeitung, 08.12.2024) Was ist geschehen? Die vollständige Einverleibung des Höchsten im Menschen, seine Kreativität, in marktförmige Prozesse scheint unaufhaltsam zu sein. Leistung, Selbstoptimierung, Authentizität, Kreativität, Performance – diese Begriffe sind Leitbegriffe der neoliberalen kapitalistischen Gesellschaft. Während die Epoche der Romantik das Individuum entdeckt und feiert, zu einem freien Zusammenschluss von Individuen in freien Sozietäten aufruft, huldigt die Gegenwart der Vereinzelung individualistischer Gesten im digitalen Kapitalismus. Alle performen sich selbst. Oder wie der koreanisch-deutsche Philosoph Byung-Chul Han schreibt: „Die Narrative, die dem neoliberalen Regime zugrunde liegen, verhindern gerade die Gemeinschaftsbildung. Das neoliberale Leistungsnarrativ etwa macht aus jedem einen Unternehmer seiner selbst. Jeder befindet sich in Konkurrenz mit anderen. Das Leistungsnarrativ erzeugt keine soziale Kohäsion, kein Wir. Im Gegenteil baut es sowohl die die Solidarität als auch die Empathie ab. Die neoliberalen Narrative wie Selbstoptimierung, Selbstverwirklichung oder Authentizität destabilisieren die Gesellschaft, indem sie die Menschen vereinzeln. Wo jeder dem Gottesdienst des Selbst huldigt und den Priester seiner selbst ist, wo jeder sich produziert, sich performt, bildet sich keine stabile Gemeinschaft.“ (Byung-Chul Han, Krise der Narration, Matthes & Seitz Berlin, 2023)
Wir thematisieren diese Diagnose, in dem wir frei und spielerisch auf die Romantik zurückgreifen. Die Romantik gilt als Kunst, metaphysische Luftschlösser zu bauen. Sie hat den Konjunktiv als ästhetisch-philosophische Strategie entdeckt, um mit existentiellen Fragen umgehen zu können, für die es keine Antworten gibt. „Es war als hätt der Himmel die Erde still geküßt“ schreibt Eichendorff. Was ist real? Das Authentische? Das Gespielte? Wieviel Fiktion brauchen wir, um mit der Wirklichkeit in Berührung zu kommen? Hat Kunst irgend einen Kern, von dem etwas ausginge, was sich nicht im Kulturmarkt erschöpft? Unser Theaterstück „Die Nacht der Seele“ geht künstlerisch mit diesen Fragen um. Es gibt keine Antworten.